Frühling 2020. Nicht nur die Temperaturen hauen mich um. Die Welt außer Rand und Band. Als wären 30 Grad im April nicht schon genug für eine Studentin des Fachs „Ökologie des Klimawandels“, ist da jetzt auch noch dieses Corona, was wirklich den Vogel der Normalität abgeschossen hat. Aber was, wenn dieser Zustand von Normalität nicht nur Gutes bedeutet hat?
Die drastischen Einschnitte in unser aller Leben, hätte ich nie für möglich gehalten. Und doch habe ich seit Jahren auf drastische Veränderungen mit wenig Zuversicht gehofft. Mit dem alleinigen Argument des Klimawandels konnten wir jahrzehntelang niemanden zum Handeln bewegen, Corona hingegen schafft das innerhalb eines Monats, mit links.
Tatsächlich kommt es mir vor als wäre ich kurz weggenickt und als ich wieder aufwachte war die Welt eine bessere, die bisherige nur ein misanthropischer Traum:
In Peking und Delhi sehen die Leute blauen Himmel, der Flugverkehr ist zum Erliegen gekommen. Öffentliche Verkehrsmittel sind quasi kostenlos und VW stellt die Produktion ein. Die jungen Leute zieht es nun auf’s Land, um bei der Ernte zu helfen und alle huldigen den LandwirtInnen, denn plötzlich fällt auf, dass diese uns ja ernähren- huch! Noch verrückter: die Leute treffen sich neuerdings im Wald, anstatt im Starbucks was zu konsumieren und die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen wird über Gartenzäune hinweg beim Hochbeet-bauen geführt. Überhaupt ist Solidarität nicht mehr nur eine Parole verfilzter Barfußgänger oder realitätsferner Alt-68er, sondern das Hashtag der Stunde. Egal ob solidarisch mit der Oma, dem unterbezahlten Pflegepersonal, oder mit Menschen ohne festen Wohnsitz. Plötzlich können wir alle verstehen, dass es wichtig ist lokal einzukaufen und das adidas kacke ist, weil das Unternehmen die Miete nicht zahlt. Und noch etwas ist anders: Wohin das Auge reicht überkommt die Leute eine neue Lebensfreude gepaart mit Aktionismus, bei dem der Kreativität keine Grenzen mehr gesetzt sind: es werden Projekte gestartet, Haare abrasiert oder sich selbst tätowiert.
Kurz: Es läuft. Die Gesellschaft ist im Wandel. Und es läuft wahnsinnig gut, wenn man einmal nur auf die dargebotene Anpassungsfähigkeit schaut. Und wie ich so dasitze und sinniere muss ich feststellen: „ich habe die Menschheit unterschätzt!“
Seit Beginn meines Studiums beschäftige ich mich quasi jeden Tag mit all den Utopien, die wir in Angriff nehmen müssten, falls wir doch noch ein dauerhaftes Überleben der Menschen sichern wollten. Und seit der zweiten Hälfte dieser Zeit etwa, stand für mich fest, dass das alles nie passieren wird. Denn der Erhalt der Wirtschaft steht über allem. Veränderung macht Angst, das politische System ist wahnsinnig träge. Und wer keinen Bürgerkrieg provozieren will, sieht lieber zu, dass alles so bleibt, wie es ist.
Dies war immer der abschließende Gedanke zahlreicher Monologe, Gespräche auf Parties oder bei hitzigen Debatten im Hörsaal. Resignation und Endzeitstimmung. Ich mag es durchaus Recht zu haben, aber sollte mein Pessimismus tatsächlich einem Irrtum meinerseits zugrunde liegen, dann wäre dies der schönste Irrtum meines Lebens.
So bedrohlich und undemokratisch die Regelungen auch sind, ich hoffe diese Krise wird auch als Chance begriffen, unsere Gesellschaft nachhaltig umzugestalten.
Und die Hälfte des Weges ist quasi schon gegangen: alles steht still, die Weltwirtschaft auf ein Minimum beruhigt und Lebensstile krass verändert, ohne dass es eine/n Schuldige/n dafür gibt. Niemand muss sich dafür verantworten, was gerade geschieht und somit bleibt das politische System stabiler als gedacht. Peterchen hat quasi gerade mit seinem Rotzärmel das Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Feld im Familienurlaub abgeräumt und alle sind ein bisschen genervt dabei alles wiederaufzubauen. Was aber, wenn wir unsere Figuren nicht genau dorthin zurücksetzen, wo wir gestanden haben, sondern uns allen erlauben unsere Positionen zu verbessern?
Alles liegt in Schutt und Asche und uns ist es möglich ganz selektiv neu aufzubauen, ohne zuvor selektiv zerstört haben zu müssen.
Wir können überlegen wie wir unser Zusammenleben nach der Krise gestalten wollen. Welche Unternehmen wollen wir fördern? Welche Konsummuster werden subventioniert? Und welche Verhältnisse wollen wir vielleicht überhaupt nicht wiederaufbauen?
Natürlich ist mir auch klar, dass die Einschnitte in unser aller Leben und die Folgen des Coronavirus nicht nur rosig sind. Und dass solch krasse Maßnahmen eben nicht aus heiterem Himmel gefallen sind, sondern dass dahinter teils existenzielle Bedrohungen stehen. Auch die Sache mit der neu-aufflammenden Solidarität hat natürlich seine Grenzen, nämlich reicht sie immer noch nicht bis dorthin wo sie uns vor einigen Jahren verlassen hat: in Lagern wie Moria oder auf den Booten im Mittelmeer. Dass auch ein greifbarer, gemeinsamer Feind der Welt nicht den Zusammenhalt bringen kann als Gemeinschaft zu agieren, sehe ich auch.
Daher ist es gut, dass die Diskussion über die Folgen für unser Zusammenleben kontrovers geführt wird. Für meinen, ganz persönlichen Zeitstrahl aber mag Corona 2020 den Moment markieren, in dem ich davon abgehalten wurde, mich vollends zur Pessimistin zu entwickeln. Deren Glaube an Resignation größer ist als der an Transformation. Und das gibt mir Hoffnung. Hoffnung, dass diese Handlungsfähigkeit über die Krise hinaus erhalten bleibt und alle Leute, die jetzt mal lange genug Zuhause saßen und Zeit hatten über ihr Leben nachzudenken einiges hinterfragen, wofür ihnen vorher schlicht weg die Zeit gefehlt hat.
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